Seiten

24. April 2009

Von Bürgern und Staaten und ihren wechselseitigen Beziehungen in Ost und West

Bürger stehen zu ihren Staaten, in den denen sie leben, in einer bestimmten Beziehung, als Gesellschaften übernehmen sie bestimmte Rollen, geprägt u.a. durch die historischen Entwicklungen eines Landes sowie den in den Gesellschaften verwurzelten Menschenbildern und dem entsprechenden Verständnis für die Rolle des Staates un der Bürger.

In gleich zwei Artikeln beschäftigt sich die NZZ vom 23. April 2009 mit dieser Themenstellung im Angesicht der aktuellen Krisen:


Der Berliner Korrespondent der NZZ, Ulrich Schmid, berichtet im Artikel auf der Seite 7 "
Vom erodierenden Reiz der Folgsamkeit in Deutschland - Die Schweiz als Objekt linken Unmuts und bürgerlicher Träume von Selbstverantwortung und Eigenständigkeit" (es ist die gekürzte Fassung eines Vortrages) von den Befindlichkeiten der deutschen Volksseele, ihren 'Dogmen' und stellt dies der Schweizerischen Gesellschaft gegenüber. Dieser Artikel ist vor allem auch durch die aktuellen politischen Diskussionen zwischen beiden Ländern geprägt und thematisiert in diesem Zusammenhang auch die aktuelle Wirtschaftskrise einschliesslich der Diskussion um hohe Managergehälter.
"Hat man sich nicht eben noch lautstark über Menschen beklagt, deren Lohn in keinem Verhältnis zu ihrer Leistung stand? Auch ich gehöre zu denen, die finden, eine Entkoppelung von Leistung und Lohn sei unanständig und frivol – immer, nicht nur im Falle der Börsianer und Banker. Im deutschen Sozialstaat allerdings gilt diese Überzeugung nichts. Bedürftige haben viele Rechte, aber kaum Pflichten; wer Leistung von ihnen verlangt, setzt sich dem Verdacht aus, er sei ein rechter Hardliner."
Und zum Hang der Deutschen zur perfekten Regulierung aller Lebenslagen schreibt der Autor:
"Zu viele ahnen, dass Überregulierung im Namen von Gerechtigkeit nicht nur die Demokratie, sondern auch den Wohlstand erwürgt und dass die Finanzkrise an diesen Grundsätzen nicht einmal schwach gerüttelt hat."
Und zur 'Indianer - Kavallerie' - Diskussion zwischen Deutschland und der Schweiz:
"Die Entwicklung der Reaktionen in Deutschland ist durchaus symptomatisch für den Zustand des Landes. Und damit wären wir wieder beim Thema der Folgsamkeit. Denn machen wir uns nichts vor: Nach den Verbalattacken Steinbrücks herrschte Genugtuung in Deutschland, und zwar in fast allen Lagern. Geschuldet ist dies in erster Linie wieder der Überzeugung, nur eine sehr soziale Gesellschaft sei eine gute Gesellschaft. Der Begriff «Gerechtigkeit» wird fast ausschliesslich zielorientiert diskutiert – wie stelle ich Gerechtigkeit her? Was grundsätzlich gerecht ist, was das Wesen der Gerechtigkeit ausmacht, das steht nicht mehr zur Debatte."
Und weiter:
"Woher dieser wohltuende Widerspruch? Meine These: Aus einem tiefsitzenden Gefühl des Respekts für die direkte Demokratie. Sowenig die Deutschen über Schweizer Politik wissen mögen: Dass wir pausenlos abstimmen, das wissen sie. Sie wissen auch, dass sie das selber nicht tun. Sie wissen, dass unser politisches System auf einem grossen Mass regionaler Eigenständigkeit und auf der Eigenverantwortung des Bürgers basiert – das ihre nicht."
Im Artikel "Asien und der verlorene Glauben an die Überlegenheit des Westens Rechtfertigen von Staatsgläubigkeit und «asiatischen Modellen» im Zuge der Finanzkrise" von Manfred Rist im Teil 'Fokus der Wirtschaft' (S. 27) wird u.a. die Renaissance der Staatsgläubigkeit in Asien und das damit zusammenhängende Verhältnis zum Westen thematisiert. Es geht um die Asienkrise, die Hinwendung vieler asiatischer Länder hin zum Westen:
"Nach der Asienkrise, als der Westen höchstes Ansehen genoss, musste man beinahe zwingend an amerikanischen oder britischen Universitäten studieren, und die meisten wollten bei internationalen Unternehmen Karriere machen; man vertraute westlichen Finanzgurus und legte sich gar ausländische Akzente zu. Ob Köche oder Designer, was aus dem Westen Eingeflogene hervorbrachten, war zum Vorneherein spezieller, authentischer, teurer (und deshalb besser) als Lokales, und blindlings vertraute man natürlich auf Marken und Logos."
Basierend auf dieser starken Orientierung am Westen ist die Ursachenforschung zur aktuellen Krise einfach:
"In einem Befund ist man sich deshalb rasch einig: Die Krise ist nicht (wie damals) hausgemacht, ihr Epizentrum liegt vielmehr im Westen. [...] Dass man etwa in den westlichen Hauptstädten nun ordnungspolitisch einiges über Bord wirft, dürfte hier und dort gar Genugtuung auslösen. Der ordnenden unsichtbaren Hand des Marktes vertraute man in diesen Breitengraden ja nie ganz.[...] Dass nun der Staat als Rückzugsgebiet und Hort der Stabilität gesehen wird, der es schon richten wird, ist aus dieser Perspektive naheliegend. [...] Über allem steht der tief in den meisten asiatischen Gesellschaften verwurzelte Hang zu Ordnung und Kontrolle. Ferner zu tradierten Prinzipien wie Gemeinschafts- und Sparsinn sowie Unterordnung und Autoritätsglaube – Faktoren, die stärker sind als Ideologien. Da haben ausgeklügelte Derivate, deregulierte Märkte, die Zelebrierung des individuellen Erfolgs oder westliche Freiheiten ganz allgemein wenig Platz."

Bildquelle: Flickr.com/Wolfgang Wildner




Keine Kommentare: