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27. Februar 2011

Wissenschaftliches Arbeiten mit der Wikipedia ?!

Die Zeitschrift Forschung & Lehre ("Alles was die Wissenschaft bewegt") hatte wohl mit ihrer Februar-Ausgabe den richtigen Riecher: Sie publizierte einen Artikel zum Thema Plagiateerkennungssoftware sowie ein Pro und Contra zum Thema Wikipedia & wissenschaftliche Arbeiten.

Der Pro-Artikel Gegen ein Anti-Wikipedia-Dogma an Hochschulen von Johannes Becher (Doktorand an der Bucerius Law School, Hamburg) und Viktor Becher (wissenschaftlicher Mitarbeiter, Uni Hamburg) will mit drei zentralen Vorurteilen über die Wikipedia aufräumen: mangelnde Qualität, "Wikipedia ist chaotisch", mangelnde Verlässlichkeit. Die Autoren wehren sich gegen ein pauschales Wikipedia-Zitierverbot, das es an vielen Hochschulen gibt und plädieren für den reflektierten Umgang mit der Wikipedia.

Maren Lorenz vertritt die Contra-Position im Beitrag Der Trend zum Wikipedia-Beleg. Sie thematisiert die drei Aspekte Qualität, Transparenz, Autorenschaft. Und sie ist der Aufassung, "dass  Zitate aus Wikipedia in wissenschaftlichen Arbeiten nichts zu suchen haben".

Eine gute Zusammenfassung beider Artikel bringt der Beitrag  Quelle Wikipedia - verboten oder erlaubt? von Marco Althaus.

Persönlich habe ich als Betreuer von wissenschaftlichen Arbeiten  mit der Problematik der zunehmenden Wikipedia-Zitate seit längerem zu tun. Ein Totalverbot finde ich kaum zielführend; allerdings lehne ich es genau so ab, wenn Wikipedia als einzige Quelle zur Erläuterung eines Sachverhalts herhalten soll - was (leider) vorkommt! Als ergänzende Quelle akzeptiere ich Wikipedia durchaus.

Die Dynamik und Aktualität der Wikipedia ist sicher vorteilhaft. Allerdings schätze ich auch sehr die Dauerhaftigkeit von Journal-Artikeln. Nur über sie erfährt man authentisch etwas über Motivation und Ideen von Entwicklungen, die vor 5 oder 10 oder 50 oder 100 Jahren stattfanden. Gute Wikipedia-Artikel bieten sicher auch einen guten historischen Abriss, aber eben meist aus heutiger Perspektive. Um Entwicklungen zu verstehen, sind Artikel, die original aus einer bestimmten Zeit stammen und unverändert sind, sicher wesentlich hilfreicher.
Und die Dynamik der Wikipedia hat z.B. konkret zur Folge, dass entsprechende Artikel und notabene wörtliche Zitate ggf. bei der Bewertung einer Seminararbeit nicht mehr in der zitierten Form vorhanden sind - das ist durchaus schon vorgekommen.

Die fehlende eindeutige Autorenschaft bei Wikipedia-Artikeln empfinde ich in bestimmten Kontexten durchaus als Problem. Wissenschaftliche Autoren und auch Gruppen von Autoren z.B. von Journal-Artikeln lassen sich häufig einer konkreten (Denk-) Schule  zuordnen. Wenn es um kritische Diskussionen in wissenschaftlichen Arbeiten geht, finde ich dies durchaus sehr relevant zu wissen, um Aussagen entsprechend einordnen zu können - zumindest in den Wirtschaftswissenschaften, in denen ich mich aufhalte.

Der Umgang mit der Wikipedia im Rahmen des wissenschaftlichen Arbeitens ist also durchaus zu akzeptieren, aber sehr sorgfältig anzuwenden, im Bewusstsein ihrer Charakteristika, die sie mit anderen Online Quellen teilt. Der reflektierte Umgang erfordert eine entsprechende Medienkompetenz der Autoren! Dies betrifft aber notabene den Umgang mit allen Quellen, analogen wie digitalen.

Bildquelle: flickr.com/Richard Cawood (CC Lizenz)

2 Kommentare:

Klaus Kusanowsky hat gesagt…

Die Diskussion um die Zitierfähigkeit von Wikipedia-Artikeln ist in wissenschaftlicher Hinsicht eigentlich wenig spektakulär, wenn man darauf achtet, dass in der Wissenschaft schon immer die Zitierfähigkeit von Materalien umstritten war. Man denke etwa an Diskussionen um die Frage, ob Zeitungsartikel zitierfähig sind, Flugblätter oder Romane. Soziologisch überrascht diese Diskussion nicht, ist doch gerade der Streit genau das attraktorbildende Medium, durch den sich Wissenschaft legitimiert. Wichtig scheint mir aber in diesem Zusammenhang etwas ganz anderes, nämlich die Frage: Was wird aus einer Wissenschaft, wenn sie selbst anfängt, ihre Ergebnisse in Form von html-Dateien zu publizieren, zeichnet sich doch diese Art des Publizierens nicht durch ihren dokumentarischen Charakter aus. Denn das Dokument, welches als Massenprodukte verteilt ist, lässt eine Manipulation am Einzelstück gar nicht zu, weil ein Vergleich mit verbreiteten Kopien eben diese Manipulation aufdeckt. Ein html-Dokument hinterlässt aber keinen Unterschied zwischen einem Original und einer Kopie, weshalb nachträgliche Modifikationen nirgendwo dokumentierbar sind. Deutlich wird das an Wikipedia-Artikeln. Zwar wird nichts gelöscht, abe auch nichts dokumentiert, da auch das Archiv aus html-Dateien besteht und damit genauso manipulierbar ist. Im ganzen also ist die Frage nach der Zitierfähigkeit von Wikipedia nur eine Stellvertreterdiskussion, die sich allgemein um die Frage der Dokumentierbarkeit von Internet-Dateien dreht. Und es mag sein, dass in dieser Hinsicht die Diskussion um die Zitierfähigkeit einen neuen Punkt aufgreift, nämlich die Frage, was aus einer Wissenschaft wird, wenn sie die Ergebnisse ihrer Erfahrungsbildung nicht mehr länger dokumentieren kann. In meinem Weblog schreibe ich darüber seit geraumer Zeit. Bei Interesse:
www.differentia.wordpress.com

hdzimmermann hat gesagt…

Vgl. Beispiel zur Löschkultur bei wikipedia.de: Wissen was die Wikipedia kann und ist - ein Beispiel