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22. November 2010

Wahlkampf 1.0 bei den stgaller Regierungswahlen 2010

Am kommenden Wochenende sind wieder einmal Abstimmungen und Wahlen in der Schweiz.
Und nachdem Web 2.0 und Social Media heute unbestritten Teil des Kommunikationsmix' sind (vgl. z.B. NZZ-Beilage "Kommunikation und Social Media" vom 18.11.2010), war ich neugierig, wie der Web 2.0 und Social Media Einsatz sich aktuell im Abstimmungs- und Wahlkampf im November 2010 präsentiert.

Für eine kurze Stichprobe habe ich mir die Regierungswahlen im Kanton St.Gallen angeschaut. Zwei Kandidaten bewerben sich um einen frei werdenden Sitz in der stgaller Regierung, Herbert Huser, SVP, und  Beni Würth, CVP (Stimmzettel).


Zunächst einmal rein quantitativ gefragt: Wie sind die Kandidaten Online präsent?

  • Beide verfügen über eine eigene Website (Huser, Würth
  • sowie Facebook Einträge (Huser, Würth).
    Huser hat eine Fanpage eingerichtet mit 138 Personen, denen das gefällt, während Würth eine persönliche Seite eingerichtet hat mit 205 Freunden (je Stand heute).
    Bei Huser findet man den Hinweis auf die Facebookseite unter Links auf der Webpage (als letzten von 7 Links), bei Würth direkt auf der Homepage in der Titelzeile.  
  • Bei Twitter sucht man beide Kandidaten vergebens,
    ebenso einen Blog
  • Bei Flickr hat Würth eine Seite.
  • Beide Kandidaten sind zwar mit wenigen Videos auf Youtube vertreten, aber ohne eigenen Kanal. 
Kontaktmöglichkeiten
Will man die Kandidaten direkt kontaktieren, bietet Huser lediglich ein eMail Formular auf der Webpage während Würth zwei eMail Adressen auflistet, u.a. eine sehr persönliche: beni@in-die-regierung.ch. Auf Facebook findet man bei Huser seine geschäftliche eMail Adresse.

Und während man bei Würth in der Fusszeile der Webpage Hinweise findet zum Impressum, Datenschutz und Nutzungshinweisen, gibt es nichts dergleichen bei Huser.
Bei Würth findet man darüber hinaus in der Fusszeile die Optionen Empfehlen (funktionierte aber nicht beim Test) und Twittern der aktuellen Seite sowie eine Drucken-Option.
Als rechtlichen Hinweis findet man bei Huser "Copyright © 2010 Herbert Huser. Alle Rechte vorbehalten.", bei Würth dagegen die Creative Commons Lizenz 2.5 ("©Beni Würth. Some rights reserved.")

Und nun qualitativ: Was erfahre ich von den Kandidaten Online?


Zunächst Herbert Huser:
Die Informationen sind eher knapp gehalten, häufig findet man Links zu pdf-Dokumenten, was nicht gerade besonders benutzerfreundlich daherkommt. Einen Link auf Husers Unternehmen - immerhin präsentiert er sich als Unternehmer - sucht man vergebens. Die Agenda enthält keine weiterführenden Links. Bei Husers Linkseite fällt ein Link auf, der keinerlei Bezug zur Person oder zur Wahl hat. Versehen? Werbung?
Auf den Seiten zur Wahl selbst und Husers Kampagne findet man vor allem Bilder der Drucksachen und einige Photos (die selbst bei einer schnellen Internetverbindung nur langsam laden). Die Medienseite bietet fast vier Bildschirmseiten Links auf pdf-Dokumente. Photos in der Titelleiste zeigen den Kandidaten abwechselnd in Business- und Freizeit-Outfit. Will man dem Unterstützungskomitee beitreten, muss man ein pdf-Formular aufrufen, drucken, ausfüllen und mit der Post einsenden - ein überflüssiger Medienbruch und eine recht grosse  Hürde für Unterstützungwillige.
Webpage Herbert Huser (22.11.2010)
Aber was eigentlich das Wichtigste sein sollte: Zum politischen Profil des Kandidaten findet man bis auf drei Slogans nichts auf der Website, weder etwas zur bisherigen politischen Arbeit noch zu den konkreten Vorstellungen als zukünftiger Regierungsrat. Wer die Person Huser wählen will und nicht nur den SVP Kandidaten, der erfährt kaum etwas zum politischen Profil - es sei denn er klickt die zahlreichen pdf-Dokumente und liesst sie. Aber so macht Huser es dem Wähler eher schwer ...

Insgesamt könnte man die Website als sehr nüchtern und bieder bezeichnen, lieblos gestaltet, ganz nach dem Motto "das braucht's wohl auch noch".

Und auf Facebook?
Ausser drei Bildern findet man auf der Pinnwand ausschliesslich Links zu pdf-Dokumenten auf der Webpage bzw. zu Videos. Aussser dem Kommentar "Herzlich Willkommen" vom 15. September 2010 kein einziger verbaler Kommentar des Kandidaten. Und lediglich vereinzelte "Gefällt mir" Klicks und noch weniger Leserkommentare. Und wem die Seite gefällt, der darf auch etwas schreiben, aber ohne die Möglichkeit einen Link oder ein Photo anzuhägen. Zwar gibt es den Tab Diskussionen, aber dort ist kein einziger Eintrag zu finden.
Herbert Huser auf Facebook (22.11.2010)
Facebook als Soziales Medium wird schlichtweg nicht genutzt, nicht einmal der Versuch, mit dem Publikum in Interaktion zu treten. Auch die Facebook-Seite erweckt den Eindruck "das braucht's wohl auch noch".

Und jetzt Beni Würth:
Webpage Beni Würth (22.11.2010)
Die Webpage von Beni Würth kommt ganz anders daher als diejenige von Huser. Als erstes fällt auf, dass das Parteilogo prominent auf der Seite platziert ist, während bei Husers Webpage der Name der Partei nur im Text zu finden ist.
Dann fällt auf, dass der letzte Eintrag auf der Blog-ähnlichen Homepage unter Aktuelles bereits 10 Tage alt ist - und das in der heissen Phase des Wahlkampfes. Die jeweiligen Einträge sind stark personen-orientiert, letztendlich sind alle Beiträge von oder über den Kandidaten. Die Beiträge sind kategorisiert und mit einem "Gefällt mir", einem Empfehlen (funktioniert aber nicht) und einem Twittern Button versehen - sehr zaghafte Social Media Versuche. Die Top Themen sind in einer Art Tagcloud dargestellt. Allerdings sucht man originären Online-Content vergebens, alle Beiträge sind bereits in Print erschienen bzw. verfügbar.
Ganz Obama-like kann man direkt via Webpage spenden oder dem Unterstützungskomitee per Online-Formular beitreten.
Im Menue Schwerpunkte sind diverse Themenbereiche gelistet und die Standpunkte des Kandidaten durchaus erkennbar.
Das Menue Positionen verlinkt einerseits auf die Blog-ähnlichen Beiträge, die auch auf der Startseite zu sehen sind, andererseits sind aber auch weitere politische Aktivitäten dokumentiert, hier z.T. auch mit Links zu pdf-Dokumenten. Das politische Profil Würths lässt sich also durchaus erkennen.
Und selbstverständlich sind die Drucksachen der Kampagne als pdf-Dokumente abrufbar, soviel 'alte Welt' muss wohl sein. Die Agenda enthält einige Links auf pdf-Dokmente, meist sind es die Print Flyer der Events.
Von der Startseite der Webpage gibt's einen Link auf Flickr, dort findet man (Stand heute) 29 Photos.

Auf Facebook - das Profil wurde am 4. Okt. 2010 angelegt, ca. zwei Wochen nach dem des Kontrahenten - geht es etwas persönlicher zu als beim Kontrahenten. Man findet auf der Pinnwand neben Links auf Einträge auf der Webpage auch (persönliche) Photos und zaghafte Versuche von persönlichen Statements, so z.B. "Beni Würth fiebert für heute, 16 Uhr, gegen Basel mit: HOPP FCSG!" - ein äusserst zaghafter Anfang. Aber echte Interaktion mit dem Wahlvolk: Fehlanzeige, ausser ein paar wenigen "Gefällt mir" Klicks und Kommentaren. Der Tab Diskussionen ist erst gar nicht aktiviert, auch die Verknüpfung zu Flickr sucht man vergebens.
Beni Würth auf Facebook (22.11.2010)
Mein Fazit
Beide Kandidaten haben die Möglichkeiten des Web 2.0 bzw. der Social Media nicht wirklich verstanden. Es findet weitgehend eine unidirektionale, 1:n Kommunikation statt, wie wir sie aus der Offlinewelt längst kennen, eine Interaktion mit der Bevölkerung wird offensichtlich nicht wirklich gesucht.
Die Webpage ist im Fall Huser nicht mehr als eine etwas aufwendig gestaltete Linksammlung zu klassischen Drucksachen aus der traditionellen Papierwelt mit wenig informativem Text; für den Nutzer ist es nicht wirklich bequem, permanent pdf-Dokumente aufzurufen, um sich zu informieren.
Bei Würth ist die Webpage durchaus ansprechend und informativ gestaltet, aber auch hier ist es letztendlich ein Abbild der gedruckten Welt. Die Blog-ähnliche Startseite enthält keinen einzigen originären Onlinebeitrag, alle Beiträge sind bereits in Print erschienen.
Beide Kandidaten nutzen Facebook erst seit sehr kurzer Zeit, also ganz offensichtlich für den Wahlkampf initiiert. Das heisst immerhin, man ist irgendwie der Meinung, man brauche wohl Facebook. Aber die Ausgestaltung hat so gar nichts mit dem Social Web zu tun. Es drängt sich der Eindruck auf beide Kandidaten nutzen Facebook als Verlängerung der jeweiligen Website für ein anderes, zusätzliches Publikum - oder wollen es zumindest.
Gleiches gilt für die Option Twittern bei Würth. Immerhin gibt es die Option, aber selbst aktiv zu twittern, das ist dann wohl doch noch zu weit weg. Zur Erinnerung: Twitter ist vor allem ein bi-direktionales, interaktives Medium.
Beni Würth hat sich offensichtlich auch mit dem Copyright beschäftigt, das lässt sich jedenfalls aus der verwendeten Creative Commons-Lizenz schliessen. So eine CC Lizenz wirkt ja irgendwie offen und modern. Aber sind die Online widergegebenen Printartikel wirklich unter einer CC 2.5 Lizenz wiederverwendbar...?

Wie schrieb @sachark gestern so treffend:
"Social Media ist keine technische Angelegenheit. Facebook ist nicht Social Media. Social Media ist eine Geisteshaltung. Darin geht es um Menschen. Um Mitarbeiter. Um Bedürfnisse. Um Gespräche. Um Fragen und Antworten. Um Kritik." (Quelle)
Social Media finden auch im Herbst 2010 zumindest bei den stgaller Regieungswahlen nicht wirklich statt. Wir sind auf die Nationalratswahlen 2011 gespannt!

Bildquelle: flickr.com/sympra (CC Lizenz)