Seiten

8. März 2009

Bürgerjournalismus - Bereicherung oder Bedrohung der Demokratie?

Das 'Web 2.0' - Phänomen der 'Macht der Massen' beschäftigt und erhitzt die Gemüter. Auf der 'Medien'-Seite der NZZ vom 6. März 2009 sind zu dieser Debatte drei Beiträge erschienen.

Ottfried Jarren, Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Zürich, formuliert in seinem Beitrag "Unersetzbare soziale Institutionen"* ein Plädoyer für den Erhalt der klassischen Massenmedien:

"Denn moderne Gesellschaften sind auf die Institutionen der Massenmedien zur Realisierung ihrer öffentlichen Kommunikation angewiesen. Medial vermittelte Kommunikation ist immer eine organisierte Form der Kommunikation – und das setzt Organisationen, Rollenträger und aufseiten des Publikums die Kenntnis ebendieser sozialen Strukturen voraus."

Er relativiert aber auch klar die aktuelle Hysterie um den Niedergang der Massenmedien:

"Das vermeintliche Sterben dieser traditionellen publizistischen Riesen wird allerdings nicht im Kontext mit dem erheblichen Ausdifferenzierungsprozess im Bereich der gesamten medial vermittelten Kommunikation und den sich daraus ergebenden ökonomischen Folgen gesehen, sondern generell als Niedergang der Massenmedien gedeutet.
Diese Sichtweise ist verkürzt."

Jarren geht in seinem Beitrag vor allem auf die Funktion der Massenmedien als Intermediäre in einer Gesellschaft ein.

"Die Rezipienten nutzen die Massenmedien, um sich über Themen zu orientieren. Und da sie wissen, dass auch andere Rezipienten so handeln, können sie sich über deren Beobachtungen zugleich orientieren – nicht im Detail, wohl aber in einem allgemeinen Sinn, denn das reicht für das eigene Entscheidungsverhalten bereits aus, zumal für eine Entscheidung über allgemeine soziale Vorgänge. Die Beobachtung der gesamtgesellschaftlichen Entscheidungsagenda über Massenmedien ist aufgrund des einfachen, raschen wie kostengünstigen Zugangs zu ihnen für alle Gesellschaftsmitglieder effizient."

Wenn Jarren sagt, dass in der aktuellen Debatte um die Zukunft der Medien ein "naives Medienverständnis" dominiert, dann ist dem sicher beizupflichten. Denn die allzu oft anzutreffende pauschalierende, oberflächiche und polemisierende Diskussion trifft kaum den Kern.

Nichtsdestotrotz muss man auch den 'neuen Medien' zugestehen, dass sie inzwischen eine Rolle in der Gesellschaft gefunden haben. In seinem Beitrag "Das Internet fördert die Demokratie" diskutiert der Blogger Ronnie Grob, der auch für medienlese.com bloggt, die demokratisierende Wirkung des Internet an sich um im Bereich der Medien speziell. Er spricht von der "Demokratisierung der Produktionsmittel", zitiert die "erzdemokratischen Züge einzelner Webprojekte" anhand von Beispielen, von denen man allerdings nicht weiss, wie nachhaltig sie sind bzw. sein werden oder wie repräsentativ sie sind, denn die genannten Beispiele sind nicht zum ersten Mal beschrieben. Obama muss (wieder einmal) als "Avantgardist" der neuen Medien herhalten. Und wie in vielen Diskussionen wird ein Gegensatz aufgebaut: Hier die 'Weisheit der Vielen', dort die 'Elitären', die gebildete Elite'. Ist das wirklich hilfreich? Sind die Nutzung des Internet als Kommunkikationsmittel einerseits und die klassischen Medien andererseits ein Widerspruch, ein Entweder - Oder? Ganz sicher nicht,und man könnte auch hier Beispiele aufzeigen, wie traditionelle und neue Medien sich wohltuend ergänzen. (Was Jarren übrigens in seinem dem NZZ Artikel zugrunde liegenden Beitrag tut)

Jarren und Grob beschäftigen sich beide aus ihrer Perspektive - hier der Wissenschaftler, dort der Blogger - mit dem gleichen Phänomen und kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Allerdings sind die Ebenen der Diskussionen in den beiden Artikeln weit auseinander, eine Gegenüberstellung der Argumente ist kaum durchführbar. Ein aktuelles, direktes Streitgespräch wäre sicher spannend!

In einem dritten Beitrag mit dem Titel "Ohne Elite geht es nicht" fasst ras. die beiden Artikel zusammen.


* Der Beitrag basiert auf dem Aufsatz "Massenmedien als Intermediäre. Zur anhaltenden Relevanz der Massenmedien für die öffentliche Kommunikation", Medien & Kommunikationswissenschaft, 3-4/2008.

1 Kommentar:

hdzimmermann hat gesagt…

Hab's erst heute gelesen: Nature hat am 26.2.09 das Editorial "It's good to blog" publiziert und zeigt ein entspanntes Verhältnis zum Bloggen und redet der Koexistenz von Blogospähre und klassischen (Massen-) Medien das Wort: "The blogosphere differs from mass media and specialized media in many respects, but the same considerations apply in disseminating new scientific results there. Authors of papers in press have the right to correct misrepresentations and to point to results that will appear in a paper. But a full discussion should await the paper's publication.
Indeed, researchers would do well to blog more than they do."

Und: "Moreover, there are societal debates that have much to gain from the uncensored voices of researchers."