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21. Juli 2011

Ignoranz und fehlende Sensibilität beim fairen Umgang mit Quellen an einem bayerischen Gymnasium

Das Thema Plagiate ist spätestens seit der Affäre um den Doktortitel des Herrn zu Guttenberg einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Und dass dies kein Einzelfall war, zeigen die jüngsten Fälle aberkannter Doktortitel unter deutschen Politikern und Prominenten.

Aber das Abkupfern fremder Inhalte ist weder ein Kavaliersdelikt noch allein ein Problem der Wissenschaft. In einem Beitrag schrieb ich dazu:
"Der richtige und vor allem faire Umgang mit Quellen insbesondere im digitalen Zeitalter ist Teil der Medienkompetenz – und hier hapert es immer noch gewaltig. Gerade die – vermeintliche – Gratiskultur des Netzes trägt hier zu einem eher lässigen Umgang mit Arbeiten anderer bei – bei Schülern, Studierenden, Wissenschaftlern, Autoren, Journalisten, Bloggern, etc. Erst schnell gegoogelt, dannCtrl C – Ctrl V – innerhalb weniger Augenblick ist heute kopiert. Und dieses Verhalten wird – sicher unbewusst – von vielen Seiten geduldet - und gar gefördert. "

In diesem Kontext entstand dieser Beitrag. Lange habe ich überlegt, ob ich diesen Beitrag veröffentlichen soll, nun habe ich mich dazu entschieden. Der Beitrag zeigt eine besondere Mischung aus fehlender Sensibilität, Verweigerungshaltung und Ignoranz auf. Aber der Reihe nach.

Anfang März 2011 - kurz nach dem Rücktritt des Ministers zu Guttenberg - entdeckte ich die folgende Seite auf der Website eines Gymnasiums im bayerischen Mittelfranken:

Ein eingescannter Zeitungsartikel wird ins Web gestellt, ohne jegliche Quellen- und Datumsangabe. Ob die Abbildung ggf. von der Zeitung autorisiert wurde, ist nicht festzustellen. Dagegen findet sich in der Fusszeile der Seite ein © - Zeichen.
Sicherlich nicht vorbildlich auf der Website eines Gymnasiums, aber sicherlich ein Versehen - so dachte ich.
Am 4.3.2011 wandte ich mich per eMail an das Rektorat der Schule. Ich schrieb u.a.:
"Dabei sollte doch eine Schule Vorbildcharakter haben! Im Rahmen meiner Tätigkeit seit fast 20 Jahren an Hochschulen und insbes. bei der Betreuung von Studierenden bei Haus-, Seminar-, Diplom- oder sonstigen Arbeiten stelle ich immer wieder eklatante Mängel und Unkenntnis und ein massives Unechtsbewusstsein in diesem Zusammenhang fest. [...] 
Wie soll ich von Schülern und späteren Studierenden den verantwortungsbewussten Umgang mit geistigem Eigentum anderer verlangen, wenn ich selbst nicht Vorbild bin? "
Verantwortlich für die Website der Schule ist übrigens eine Onlinegruppe, die aus Schülern besteht und von einem Lehrer geleitet wird.

Keine Reaktion.

Am 27.3.2011 sendete ich das Mail dann per Telefax an die Schule.

Wiederum keinerlei Reaktion.

Inzwischen habe ich bei der Zeitung einmal angefragt, wie man denn einen Artikel auf der eigenen Site entsprechend verlinken kann und welche Konsequenzen das genannte Vorgehen hat. Die eMail Adresse der entsprechenden Stelle bei der Zeitung war sofort gefunden, die Antwort kam nach ca.zwei Stunden. Es wurde ein einfacher Weg aufgezeigt, wie man den Regeln entsprechend einen Artikel der Zeitung
verlinken kann. Sollte der Artikel nicht Online sein, würde er Online gestellt. Und weiter hiess es:
"Generell: Wir gehen dem nicht systematisch nach; aber wo wir drauf stoßen: ohne Herkunftsangabe: Verstoß gegen das copyright, folgt ein mahnender Brief."
Diese Anfrage hätte auch die Schule stellen können.

Nachdem ich weder ein Reaktion erhalten habe noch die Seite in irgendeiner Form angepasst wurde, entschloss ich mich am 7.5.2011 die zwei Vorsitzenden des Elternbeirates anzusprechen und sie auf den Fall hinzuweisen, u.a. mit folgenden Bemerkungen:
"Ich kann nach wie vor nicht verstehen, wie eine Schule so fahrlässig mit den Themen "Urheberrecht" und "Geistiges Eigentum" umgeht. Persönlich empfinde ich es als äusserst prekär wie heute junge Menschen - sprich Schüler jeden Alters - an diese Themen herangeführt werden - nämlich völlig unzureichend! Die Medien- und Informationskompetenz von Schulabgängern ist heute völlig unzureichend. Als Hochschullehrer weiss ich sehr genau, wovon ich rede. "
Und ich verwiese auf den Artikel "PLAGIAT IN DER SCHULE: Was Karlchen nicht lernt... Im Zeitalter von Google müssen Schüler begreifen, was geistiges Eigentum bedeutet."

Und ich ergänzte:
"Ich behalte mir lediglich vor, im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit diesen Fall zu nutzen und ggf. somit auch öffentlich zu machen."
Die Antwort erstaunte mich dann doch sehr:
"da haben Sie natürlich recht, ordentlich zitiert ist das auf der Website der Schule nicht.
Nach kurzer Absprache mit [zweiter Vorsitzender des Elternbeirats] werden wir Herrn [Name des Direktors] Ihren Hinweis gern weitergeben. Als Elternbeirat tragen wir für die Website der Schule nicht die Verantwortung. Da der Artikel im Originalsatz auf der Website gezeigt wird, soll offensichtlich auch Autorenschaft und das Medium nicht verheimlicht werden, insofern sehen wir andere „Baustellen“ als vordringlicher an.
Mit der Bitte um Verständnis,
"
Auf den Hinweis, dass das Medium ja gar nicht erwähnt wird, kommt die Antwort:
"… das ist mir wohl aufgefallen. Läge ein Täuschungsversuch vor, hätte man aber sicher vermieden, eine offensichtlich aus der/einer Zeitung gescannten Ausschnitt zu veröffentlichen. Man hätte den Artikel abgeschrieben und einige Worte verändert. Dafür gibt es ja Anleitungen prominenter Vorbilder."
Und Schüler dieser Schule haben eben solche Vorbilder. Absender übrigens ein Herr Dr. ...

Passiert ist bis heute NICHTS. Die Seite ich nach wie vor unverändert Online.

Nicht der Fall an sich hat mich ärgerlich gemacht, sondern die Ignoranz einer Schule einschliesslich Elternvertretern gegenüber diesem Thema. Für die Onlinegruppe wäre dies doch ein wunderbarer Fall gewesen, ganz konkret den richtigen Umgang mit fremden Quellen zu erlernen. Und es geht auch nicht nur um diese eine Seite: Der gesamte Pressespiegel der Schule besteht aus eingescannten Zeitungsartikeln, immerhin mit Quellenangabe.

Und noch dies zum Thema:
In Bayern hat man das Thema wohl erkannt, es gibt ein Programm "Referenzschule für Medienbildung" des Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB):
"Schulen, welche die besondere Förderung der Medienkompetenz als Schwerpunkt ihres Schulprofils ansehen, werden dabei unterstützt, sich im Rahmen eines Qualitätsentwicklungsprozesses zur "Referenzschule für Medienbildung" weiter zu entwickeln. Die hierbei gewonnenen Erfahrungen und die entstandenen Konzepte werden anschließend von den Referenzschulen an andere Schulen der Region weitergegeben."
Das Programm hat 2010 begonnen, Referenzschule wird man in einem zweijährigen Qualifikationsprozess. Erst dann, also ab 2013, werden die gewonnenen Erfahrungen weitergegeben - mindestens 10 Jahre zu spät!


Bildquelle: flickr.com/mellyjean (CC Lizenz)