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15. November 2009

Der Bildungsstreik und die Bologna-Reform

Angeregt durch die aktuelle Berichterstattung zu den Studentenprotesten folgen einige Anmerkungen vor allem zum Thema Bologna-Reform.

Studierende protestieren wieder, schon ein interessantes Phänomen (
FAZ.NET, Spiegel Online, sueddeutsche.de, ZEIT Online, NZZ Online).

Eigentlich kann man als Beobachter den Eindruck gewinnen, Schüler und Studierende sind heute relativ apolitisch, fokussieren vor allem auf ihr Studium und engagieren sich eher selten (hochschul-, gesellschafts-) politisch; zumindest weniger laut und weniger polarisierend als auch schon.

Während meiner eigenen Schulzeit am Gymnasium (in D) gab es harte (schul-) politische Debatten, ja sogar Wahlkämpfe bei Schülersprecherwahlen, Jusos gegen Schüler Union waren die Hauptprotagonisten. Und es gab Schülerzeitungen der diversen Lager, die mehr Mut zur politischen Meinung zeigten als die allermeisten Medien heute. Und es gab Flugblattaktionen, die nicht selten von den Rektoraten verboten wurden wegen .. - ja wegen was eigentlich? Und dies alles oft zum Leidwesen von Lehrern und Eltern.


Aber es hat uns gelehrt die Dinge verstehen zu wollen und zu argumentieren. Sicher, die Argumente waren oft viel zu radikal, auf allen Seiten, aber sich daran zu reiben, zu argumentieren, zu diskutieren, und vor allem zu hinterfragen, das war – für mich persönlich – eine Lehre für‘s Leben.
Anfang der 80er nahmen die politischen Auseinandersetzungen und das Interesse daran IMHO rapide ab; am Ende meines Studiums in der zweiten Hälfte der 80er war es eine Minderheit von Studierenden, die an Aktivitäten der Studentenvertretungen teilnahmen oder gar wählen gingen. Und das obwohl Studierendenvertretungen sich um studientische Belange kümmerten und nicht um das Wohlergehen nicaraguanischer Kaffeebauern wie noch Anfang der 80er persönlich erlebt. Und heute? Ein Blick in SchülerVZ oder StudiVZ gibt Aufschluss darüber, was heute die Mehrheit beschäftigt. Deswegen ist es umso erstaunlicher, dass gerade in diesen Tagen Studierende (wieder) protestieren. Aufhänger ist die Bologna-Reform (Bologna-Reform Seite des BBT).

Aber schaut man etwas genauer hin, dann stellt man fest, dass die berechtigten Klagen der Studierenden in den allermeisten Fällen garnichts mit Bologna zu tun haben.

Bologna ist zehn Jahre alt und nicht mehr zurückzudrehen, aber Korrekturen, und das wird auch allenthalben eingestanden, sind sicher notwendig.
Die Ziele sind nach wie vor richtig: Studienzeitverkürzung, Transparenz, Mobilität und Vergleichbarkeit. Aber die bei der Einführung fehlende (gesellschafts- und bildungs-) politische Diskussion muss nachgeholt werden.

Und auch die Studiengänge an sich müssen auf den Prüfstand. Nur wenige Hochschulen haben die Studiengänge wirklich neu gestaltet, sondern lediglich das Label
Diplom oder Lizenziat mit Master überklebt und aus dem alten Vordiplom oder Fachhochschul-Diplom einen Bachelor gemacht – etwas zugespitzt formuliert. Da verwundert es kaum, dass in der Schweiz 90% der Studierenden an den Universitäten den Master machen, und das obwohl der Bachelor ja berufsqualifizierend und der Master vor allem forschungsorientiert sein soll.
„Wie bereits frühere Untersuchungen gezeigt haben, ist die Übertrittsquote vom UH-Bachelor zum UH-Master sehr hoch (90%) und nur einige wenige Studierende gliedern sich direkt nach dem Bachelor in den Arbeitsmarkt ein.“
(Bologna Barometer 2009, pdf).
Und weiter sagt uns das Bologna-Barometer 2009, dass nur gerade 2% der Bachelorabsolventinnen und -absolventen, die mit dem Masterstudium weitermachen, die Hochschule wechseln; vor Bologna waren das nach meiner Einschätzung auch nicht weniger.

Ich selbst habe nach dem guten alten Vordiplom die Uni gewechselt, das war schwierig und aufwändig genug und wirkte studienzeitverlängernd, aber ob das heute in den Bologna-Studiengängen, zumindest die ich kenne, wirklich einfacher ist, wage ich zu bezweifeln.


Damit sind also wesentliche Ziele der Reform bisher nicht erreicht worden. Und es gibt sogar
Stimmen die behaupten, die Mobilität sei heute sogar erschwert gegenüber der Zeit vor Bologna.

Erreicht wurde dagegen, dass Studierende heute schneller abschliessen und weniger oft abbrechen, das ist sicher begrüssenswert.


Aber erreicht wurde auch – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – dass Studierende heute vor allem „zielorientiert und organisiert“ sind. So titelt auch die
NZZ am Sonntag heute: „Bologna macht die Faulen fleissig. Aber wenn die Jagd nach ECTS-Punkten damit gemeint ist, dann ist das ein zweifelhafter Erfolg der Reform. ‚Punkte sammeln anstatt studieren‘, das scheint ein eher zweifelhaftes (Zwischen-?) Ergebnis der vor zehn Jahren eigeführten Reform zu sein.

Eine ganz persönliche Anekdote dazu: In einer mündlichen Prüfung an einer deutschen Universität in einem Masterstudiengang unmittelbar vor dem Abschluss – notabene die letzte verbliebende mündliche Prüfung – prüften wir, zwei Fachkollegen, den Studierenden fächerübergreifend. Als der Kollege eine Frage stellte, antwortete der Student sinngemäss:
Wieso fragen Sie das noch, das haben wir doch schon im 5. Semester in der Prüfung xyz gemacht, das weiss ich doch jetzt nicht mehr‘.
Das scheint mir leider symptomatisch zu sein für die Jagd nach Punkten. Sicher, die Prüfungen nach dem alten Schema alles am Ende des Studiums zu prüfen waren der Hammer – ich selbst hatte fünf schriftliche (je 4 oder 5 Zeitstunden) und fünf mündliche Diplomprüfungen innerhalb weniger Wochen zu absolvieren über den Stoff von 4-5 Semestern -, aber das schlussendlich zu schaffen, auf den Punkt in mehreren Fächern fit zu sein und notabene auch Zusammenhänge zu begreifen, da auswendig lernen kaum eine Option war, das ist auch eine Leistung! Und auch da musste man perfekt organisiert und zielorientiert sein -vielleicht sogar mehr als heute im verschulten Bolognasystem ...!

Wenn also die aktuellen Proteste bzw. der Bildungsstreik der Studierenden zwar wenig mit Bologna im engeren Sinn zu tun haben, aber dennoch die Bildungspolitik und die Hochschulen zum Nachdenken bringen, ist das gut so!


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ergänzt: 16.11.09: Link zum NZZ-Artikel




13. Juni 2009

Kultur, Bildung und Technologie - Culture Technologies

Auf dem Jahreskongress der Initiative D21 im November 2008 präsentierte Gunter Dueck, Chief Technologist (und vieles mehr) bei IBM, eine (seine) originelle Sicht auf die Dinge im alllgemeinen, Internet und Bildung im besonderen.

Basierend auf dem Vortrag ist in der Februar 2009 Ausgabe des Informatik Spektrum ein entsprechender Beitrag erschienen: "Culture Technologies - Dreimal mehr in Herz und Kopf!" (DOI:10.1007/s00287-008-0311-8).

Darin fordert Dueck die wesentlich intensivere aber auch kreativere Nutzung der (Internet-) Technologie für die Bildung, und wird sehr deutlich in seiner Wortwahl, u.a. darüber was er von den Traditionalisten, den Bewahrern hält. Ein lesenswerter Artikel, der zuweilen zynisch und bissig ist, bewusst überzeichnet uind provoziert und (hoffentlich) zum Nachdenken anregt.

Es folgen einige Kernaussagen aus dem Artikel, zunächst die Definition von Culture Technologies:
"Culture Technologies ist für mich die Gesamtheit der technologischen Anstrengungen, um die Bildung und dasWissen derMenschheit eine ganze
Stufe höher zu schrauben. [...]

Ich möchte, dass wir aufhören, dasWissen ganz unverändert nur ins Internet zu stellen.Wir müssen zu Bildung 2.0 oder 3.0, zu einer höheren Stufe eben."
Und seine zentrale Forderung nach Innovation, Kreativität und globalen Visionen:

"Muss das heute alles noch so antiquiert zugehen? Können wir nicht die ganze IT, die Mathematik, die Informatik, das Web 2.0, die Multi-Media-Technik mit den Naturwissenschaften zusammenpacken und die Bildung auf ein ganz neues Niveau heben? Diesen meinen Gedanken, der von den Bananensteckern und den Logarithmentafeln ausging, möchte ich hier zu einer Vision ausbreiten,
wie wir in Deutschland eine ganze mittelständische Industrie entstehen lassen, vergleichbar mit einer wie Hollywood, die eben Bildung für die ganze Welt produziert. [...]

Deshalb ist ,,Culture Tech“ natürlich global."
Und er teilt kräftig aus, vor allem adressiert an die 'Älteren':
"Es ist so schwer, Ihnen klar zu machen, dass Sie sich nur am Alten festklammern, warum auch immer."
Und als ein Beispiel dazu:
"Das BUCH ist heilig. Nichts in html oder pdf ist dem Buche gleich, heißt es! Ich stelle mir die Konservativen zur Lutherzeit vor, die damals wetterten, dass man die Bibel nun unglücklicherweise lesen kann und nicht mehr im Herzen auswendig mit sich trägt. Gott hat des MenschenHerz verlassen und ist in das Bücherregal umgezogen! Pfui – zum Teufel mit dem Buch! Und der Teufel selbst sagt: ,,Denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen.“ Genau deshalb ist das Buch Teufelswerk, weil der eigentliche Inhalt des Menschen in gedruckter Form außerhalb von ihm vorliegt. Haben Sie das vergessen? Es war um 1500 herum. Heute liegt der eigentliche Kern des Menschen nicht mehr gedruckt vor, sondern online. Na und? Wollen Sie vor 1450 zurück? Zu Homer? Zu Gesängen? [...]

Immer, wenn eine neue Kulturtechnik das Lernen erleichtert, entrüsten sich alle Älteren. Sie sehen das Erlernen des Basiswissens in Gefahr, das sie für heilig und unantastbar halten. ,,Niemand kann mehr Kopfrechnen und Gedichte aufsagen.“ [...]

Sollten wir einmal einen Pisa-IQ für Ältere erheben? Ich finde diese Diskussionen so ätzend! [...]

Hey, sehen Sie als Ältere denn nicht, wie die Zeit Sie alle überrollt? [...]

Wie Sie als Ältere das Internet als Schund verdammen, selbst aber nach gesicherten Statistiken vier Stunden am Tag solche TV-Programme anschauen, die Marcel Reich-Ranicki zum Aufschäumen bringen?"
Anschliessend beschreibt Dueck dann seine Ideen, seine Wünsche, formuliert Fragen aber verspricht kein lückeloses konsistentes Modell:
"Was ich beim Nachdenken über solche Einzelbeispiele erträume, ist eine ganz neue Bildungsform, bei denen wir wirklich dreimal mehr, zehnmal mehr lernen als heute."
"Ich wünschemir so viel. Ich wünsche mir einWikipedia, in dem es sehr verschiedene Antworten gibt: Für den Kindergarten, für Experten, für Jauch-Show-Spicker, für jeden Wissensbedarf eben. [...]

Ich wünsche mir das Projekt Gutenberg der Bücher auch in Formvon Hörbüchern. Alles soll auch vorlesbar vorliegen. [...]

Ich wünsch mir alle Dramen wie auch alle Opern als ,,podcast“ oder ähnlich. Bald geht die gesamte Bildung derWelt auf einen Stick! [...]

Wie bei Facebook stellen alle Schüler und sonstigenMenschen ihre Malereien als Albumins Internet und kommentieren die Bilder gegenseitig. Gegenseitiges Notengeben statt Lehrergeschmacksdiktat. Trauen wir uns einen Sprung in Evaluation 2.0 zu? Oder ist Bildergutschlechtfinden eine Sache der Lehrer-Allmacht, so wie imFußball, wo nur Günter Netzer wirklich sagen kann, wer unabhängig vomErgebnis gut gespielt hat? [...]

Ist eine Supervideo-Vorlesung von Albert Einstein nicht besser als eine normal schlechte Vorlesung eines normal mittelmäßigen Professors ...?
[...]

Die Schüler sollten schöpferischer werden. Mit Computern kann manmalen und sich dann von anderen coachen lassen. Mit Computern kann man Songs komponieren, instrumentieren. [...]

Ich möchte, dass die Verlage aufhören, normale Fachbücher dümmlich als pdf noch einmal ohne eigene Kosten zu verkaufen, was ja kaum jemand will.Was wir brauchen, sind elektronische Bücher, aus denen man die Bilder, Tabellen etc. in verarbeitbaren Form in Powerpoints oder andere Bücher herausnehmen kann. Man muss auch Bilder und Tabellen ,,zitieren“ können, nicht nur Sätze. [...]

Warum gibt es so wenige Mathefilme? [...]

Warum gibt es keine Filme, wie Computer innen funktionieren? Was Befehle wie Save, Load etc. tatsächlich in der Physik bedeuten?Warum gibt es keine Filme, wie der Prozessor arbeitet? Wie multipliziert er?
Abschliessend geht Dueck auf die neuen notwendig werdenden Infrastrukturen ein: Lehrpläne, Unterrichtsmittel, aber auch breitbandiges Internet und Netbooks für jeden Studierenden.
"Deutschland sollteWeltbildungsproduzent werden. Aus dem Land der Dichter und Denker wird ein Exportland für Culture Tech."
Das Video zum Vortrag gibts hier.

Bildquelle und ©: pixelio/RainerSturm

27. Januar 2009

Die Scheichs investieren in den Rohstoff von morgen: Wissen

Nachdem die Finanzkrise auch die reale Wirtschaft erreicht hat, werden die Regierungen der Welt nicht müde, nach der Bankenwelt auch nach und nach weitere Branchen mit ordnungspolitisch zu hinterfragenden Konzepten zu 'retten'.

Die Autoindustrie wird mit Hunderten von Millionen Dollar, Yen und Euro 'gestützt', in der Geschwindigkeit der Entscheidungen übertrumpfen sich die Regierungen. Sicher, man soll und darf die diversen Branchen nicht einfach untergehen lassen, aber alle Probleme auf die aktuelle Krise zu schieben ist auch naiv. So schreibt z.B. die BusinessWeek vom 12. Januar 2009 zur Situation in der Autoindustrie:
"Having indulged in a global orgy of factory-building in recent years, the industry has the capacity to make an astounding 94 million vehicles each year. That's about 34 million too many based on current sales, according to researcher CSM Worldwide, or the output of about 100 plants."*
(Online erschienen am 31. Dez. 2008)

Das hat wohl kaum nur mit der aktuellen Krise zu tun, sondern zeigt strukturelle Probleme auf.


Und Frankreich stützt mit 600 Millionen Euro die Printindustrie - und in den USA verlangt sogar die Pornoindustrie nach Staatsgeldern. Wer kommt als nächster?


Auch in den Emiraten, in denen der Reichtum schier endlos schien, schlägt die Krise zu, Bauvorhaben werden gestoppt, rauschende Parties abgesagt, Luxushotels teilweise geschlossen. Aber: In einer Mitteilung im CASH Daily las man am 26. Januar 2009 vom "Bildungsboom bei den Scheichs". Ein ähnlicher Artikel erschien im deutschen Handelsblatt am 26. Januar 2009 ("Bildungsboom im Wüstensand"), aber sonst nahm man offensichtlich kaum Notiz von dieser Meldung.

"Der Rohstoff von morgen heißt Wissen. Um ihre Zukunft unabhängig vom Öl zu sichern, setzen die Scheichs in Saudi-Arabien, in den Vereinigten Arabischen Emiraten wie Dubai und Abu Dhabi oder in den Nachbarstaaten Oman und Katar verstärkt auf Bildung."

Im Oman feiert die German University of Technology (GUtech), ein Ableger der RWTH Aachen, ihren ersten Geburtstag und soll bald rund 2'000 Studenten haben, heute 60. Und in Dubai hat der Herrscher "trotz Kreditklemme eine Zehn-Mrd.-Dollar-Stiftung angekündigt, um Wissen und Forschung voranzutreiben und um noch unabhängiger vom Öl zu werden."
Und weiter:
"Bei den Nachbarn am Persischen Golf dagegen heißt es nicht kleckern, sondern klotzen: Allen voran will der saudische König an seiner neuen Hochschule die internationale Wissenschaftselite versammeln. Er hat dazu 12,5 Mrd. Dollar bereitgestellt."
Zum Vergleich: Die Exzellenzinitiative in Deutschland stellt insgesamt 1.9 Mrd. Euro zur Verfügung. (Quelle: BMBF)
Sicher, die Bedingungen und Voraussetzungern in den verschiedenen Ländern sind schlichtweg nicht vergleichbar, aber ein solches klares Bekenntnis zu Investitionen in "Wissen" und "Bildung" einschliessch der Bereitstellung der Ressourcen ist durchaus beeindruckend.

* Diese Grafik der BusinessWeek zeigt die aktuellen Kapazitäten nach Kontinenten.


Bildquelle und ©: Schnecki/PIXELIO